Wozu ist ein Amulett nutze, wenn es seiner Erbin nicht gehorcht?
Warum wählt es eine Hüterin aus, wenn die Passage sich ihr verweigert?

 

Hopes Gefühle schlagen zunehmend in Hass um und der Aufenthalt

auf Burg Tegoz wird unerträglich für sie, scheint sie dort doch wie in einem goldenen Käfig gefangen zu sein. Auch ihre Flucht nach Darkwood stellt keinen
Ausweg dar, solange die Passage sich ihr verschließt. Das Amulett wird

für Hope zusehends zu einer Fessel.

 

Val-Ans Geschichte wiederum stößt nicht bei allen auf Glauben.

Allen voran Hen, Targwins einstiger Protegé und inzwischen Oban auf Tegoz,

weigert sich, den historischen Bericht anzuerkennen, erst recht nicht die daraus
resultierenden Schlussfolgerungen und Ziele!

 

Wie weit reichen die Fäden noch, die
Targwin so emsig gesponnen hat?

 

***

 

ISBN 978-3-7526-5930-6

620 Seiten, Taschenbuch;

Format: 12 x 19cm

Auch als E-Book erhältlich

 

 

LESEPROBE:

 

Kapitel 2

 

Mittewoch, 28. Eisig, Burg Tegoz
Hope

 

  Eine Woche war vergangen. Eine Woche voller Ratlosigkeit, voller Überlegungen, voller Sorge. Eine Woche lang hatte ich kaum etwas geredet, waren umgekehrt alle um mich herumgeschlichen, als ob sie mich nicht anzusprechen trauten. Vermutlich glaubten sie, dass ich bei dem kleinsten falschen Wort ausrasten, zusammenbrechen oder in einen Zustand der permanenten Lethargie verfallen würde. Die Einzigen, die mich halbwegs normal, wenn auch spürbar fürsorglich behandelten, waren Nim und Nubrin. Und Tamara. Und Tamey. Und Alfrin. Und der zurückgerufene Jurim. Zibuk schwieg sowieso wie meistens.
  Na schön, nicht alle schlichen um mich herum, aber alle sahen mich definitiv anders an als sonst!
  Peter war schon sechs Stunden später erneut aufgetaucht, das Amulett noch einmal in Ginas Obhut zurücklassend, und wir hatten von da an jeden einzelnen Tag einen neuen Versuch gestartet – mit dem gleichen Ergebnis: Die Pforte wies mich ab! Nim weigerte sich standhaft, ohne mich zu wechseln, und ließ sich auch nicht dazu erweichen, es wenigstens zu versuchen, also durchliefen zweimal andere Freiwillige diesen Wechsel: Einmal erneut Gabael, der jetzt sinnvollerweise eine Weile auf der anderen Seite bei Peter verbringen würde, und einmal Ban, der erst vor Kurzem seinen Antrag auf Lehrjahre zurückgezogen hatte. Und hier zeigte das jeweilige Ergebnis, dass dieser Ausschluss offenbar nur mich ganz alleine betraf.
  Und von da an hätte ich niemandem auch nur annähernd beschreiben können, was in mir vorging! Ich war abgeschnitten von meiner Heimat, abgeschnitten von dem, wo ich meine letzten Antworten zu finden gehofft hatte. Im Prinzip war ich – zuletzt kurz vor der Entscheidung, möglicherweise nach Beendigung meines letzten Schulhalbjahres Aroda den Vorzug zu geben – nun wieder genau dort, wo ich bei meinem ersten Wechsel angefangen hatte. Was das jedoch in meinem Inneren bewirkte, hätte ich nicht einmal selbst sagen können. Oder doch: Es war dem Gefühl, das ich unmittelbar nach Mums Tod gehabt hatte, sehr ähnlich!
  Auffallend ähnlich offenbar!
  Ich hatte es geschafft, mich zusammenzureißen, als am Freitagabend nach eingehender Überlegung Peter mit Helen hier aufgekreuzt war. Helen war leichenblass, hatte sich vollkommen verängstigt im Wohnzimmer meines Grandpas umgesehen und war erst aus ihrer Erstarrung aufgetaut, als ich auf sie zutrat und in die Arme zog.
  Mit Absicht hatten Nim und ich alleine auf ihre Ankunft gewartet und bei ihrem Anblick war mir sofort klargeworden, dass ich meine Sorgen und Ängste noch einmal völlig nach hinten schieben musste. Sie hatte einiges zu verdauen und wenn ich ihr jetzt zudem noch erklären würde, dass ich nicht wieder zurückkonnte …
  „Hope?“, kam es ein wenig dünn. Zu dünn für ihre eigentlich forsche, vorlaute Art!
  „Hi! Ich bin so froh, dass du da bist! Wie fühlst du dich? Hast du die Passage gut überstanden? Ich habe keine Probleme damit, Peter eine halbe Stunde lang vors Schienbein zu treten, wenn er dich nicht richtig darauf vorbereitet hat, also sei ehrlich!“
  Ein winziges Lächeln hob für eine Sekunde ihre Mundwinkel, dann starrte sie erneut ihre Umgebung an. Und Nim.
  „Das ist er? Dein Freund? Du hast einen Außerirdischen zum Freund?“, flüsterte sie.
  „Das ist Nim, ja. Aber er ist genauso wenig ein Außerirdischer wie ich.“
  „Oh … Ja … Stimmt, Peter hat es mir erklärt … Gott, Hope, das hier ist … Du bist … Ich glaub, ich muss mich setzen!“, stöhnte sie und ließ sich augenblicklich auf die dick gepolsterte Bank fallen.
  Besorgt nahm ich gleich neben ihr Platz. „Helen, wirst du hiermit klarkommen? Ich meine, wir haben dir das aufgehalst, ohne dir die Folgen vorher wirklich klarmachen zu können! Das hier darf niemand wissen und wenn ich darum gebeten habe, dich einweihen zu dürfen, dann nur deshalb, weil ich keine Geheimnisse vor dir haben will und weil ich dich nicht anlügen kann! Du warst immer meine beste Freundin.“
  Ein kleiner Hauch Farbe zeigte sich auf ihren Wangen und in ihren Augen funkelte ein erster Eindruck ihrer alten Entschlossenheit.
  „Na ja, ich hatte eigentlich schon vorgehabt, einen Song hierüber zu schreiben. Und es würde sich auch gut als Leitartikel in einer großen Zeitung machen. … Spaß! Ich mach nur Spaß!“, hob sie sofort beide Hände, als Nim sich besorgt räusperte. „Hast du denn wirklich gedacht … Okay, das hier ist … Keine Ahnung, was das ist, dafür gibt es in meinem eigentlich riesigen Wortschatz keine wirklich treffende Bezeichnung. Aber ich bin deine beste Freundin, kapiert? Bin, nicht war! Ich habe immer meinen Mund gehalten, wenn es um Vertrauliches ging, also werde ich das hier“, wedelte sie mit der Hand, „auch für mich behalten!“
  Sie stöhnte leise, sah sich ein weiteres Mal um und wirkte völlig überfordert. „Es wäre allerdings hilfreich, wenn ich etwas mehr wüsste und wenn ich in der Schule sagen könnte, wann du wieder auftauchst. Dad hat Peter die Geschichte mit dem Sanatorium abgekauft … Was für eine Vorstellung übrigens! Ich sehe dich seither in einem dicken Bademantel, Handtuchturban und Plüschpantoffeln mit Gurkenmaske und einem Glas Gurkenwasser in der Hand in einem Luxus-Spa herumschlurfen und ich hab zwei angebliche Ansichtskarten ausgedruckt und mitgebracht, die du schreiben wirst und die ich nacheinander für dich aufgeben werde, aber egal …
  Okay, ich glaube, ich rede ein wenig zu viel. Tut mir leid, aber das hier ist … verdammt aufregend! Irre! Schräg! Science-Fiction-mäßig! Wow!“
  Ich hatte atemlos auf ihre Antwort gewartet und je länger sie redete und je mehr sie darüber in Fahrt kam, desto mehr erkannte ich in ihr wieder die alte Helen. Und als sie jetzt endete, um Luft zu holen, grinste ich sie breit an.
  „Danke!“
  „Danke? Wofür? Sollte ich nicht lieber danken für die Möglichkeit, einen anderen Planeten zu besuchen? Ich könnte dir auf Anhieb eine ganze Liste von Astronauten nennen, die alles dafür geben würden!“
  Ich hob fragend die Augenbrauen und grinste weiter.
  „Na gut, nicht unbedingt namentlich“, schnaubte sie sofort. „Aber die NASA würde dir die Tür einrennen und ihre Space-Shuttle-Nachfolger zusammen mit der ISS sofort in der Schrottpresse einstampfen, glaub mir. Und Elon Musk kann einpacken! Danke also wofür?“
  „Dafür, dass du da bist und dass du so sehr du bist.“
  „Oh! Das klang jetzt fast wie ein Kompliment! Kein Problem, ich war schon immer gut als ich!“ Sie hatte Nim einen weiteren, neugierigen Blick zugeworfen und erst jetzt hatte er sich ihr vorgestellt …
  Stunden waren so und ähnlich vergangen. Stunden, in denen wir zu viert, dann, mit Tamara, zu fünft diskutiert hatten, in denen wir mit ihr durch die Burg gezogen waren. Stunden, in denen sie entweder ohne Punkt, Komma und Luft zu holen geredet hatte oder in denen sie schweigend und ungläubig minutenlang verharrte, weil sie wieder etwas gesehen oder gehört hatte, das sie erst einmal verarbeiten musste.


 Am Samstag hatten wir unsere Tour auf Tegoz ausgedehnt; Nim hatte zum ersten Mal wieder eine Nacht ohne mich im benachbarten Gästezimmer verbracht – und ich ohne ihn, Helen auf der Matratze auf dem Boden neben mir. Wir redeten auch da noch stundenlang und nach einer kurzen Nacht ging es da weiter, wo wir aufgehört hatten. Grandpa strahlte eine enorm erholsame Ruhe und Gelassenheit aus, lud sie zwar ein, ihm jede Frage zu stellen, die ihr in den Sinn käme, hielt sich ansonsten aber zurück und zog sich auch bald zurück. Und Alfrin ließ sich erst am Sonntagmorgen sehen, als wir gemeinsam – und mittlerweile schon wesentlich entspannter – beim Frühstück saßen.
  „Aha, der ‚MiB‘!“, hatte sie ihn begrüßt, als er auf Grandpas einladenden Wink hin einen Stuhl vom Tisch abzog und sich ungeniert am Kaffee bediente.
  „MiB?“
  „Man in Black“, informierte ich ihn kurz.
  „Ah! Ich erinnere mich dunkel. Dieser Film, oder?“
  „Richtig. Du bist dieser Tegoz?“, fügte sie an.
  „Wie es aussieht, bin ich das noch eine Weile!“, hatte er genickt. „Und du bist diese Außerarodaische?“
  Sie hatte grinsend bejaht. „Helen von Fairfax.“
  „Alfrin von Tegoz.“
  „Ich weiß, Hope hat mich vorgewarnt. Nette Burg!“
  „Danke. Gehört zwar nicht mir, aber ich gebe es gerne weiter an jeden Bewohner und die Bürger von Felden, wenn ich sie treffe. Noch Kaffee?“
  „Immer! Äh … Muss ich dich übrigens irgendwie besonders anreden? Irgendwas wie ‚o großer Vorsitzender‘ oder ‚durchlauchtigste Eminenz‘?“
  Ich unterdrückte ein Kichern, während er gespielt nachsichtig den Kopf schüttelte.
  „Nicht ganz so hochtrabend, nein. Für gewöhnlich reden mich die Nicht-Ratsmitglieder mit ‚erhabener Monarch‘ oder einfach mit ‚ehrwürdiger Tegoz‘ an, aber in deinem Fall mache ich gerne eine Ausnahme, du bist fremd hier.“
  Ihr Lächeln wurde zusehends kleiner und der Sirup tropfte von ihrer Waffel, als sie sich peinlich berührt räusperte.
  „Oh! Okay … Tut mir leid, das wusste ich nicht! … Wieso hast du mir nichts davon gesagt?“, zischelte sie mir zu und legte ihr Frühstück zurück auf den Teller.
  In diesem Moment klopfte es erneut und Ulf meldete sich, stand schon in der Tür, kaum dass Nubrin ihn hereingebeten hatte.
  „Tut mir leid, die Störung, aber Alfrin wird im Stall gebraucht. Das Hufeisen deines störrischen Pferdes muss ersetzt werden und du musst mit anpacken.“
  „Sag deinem Vater, dass ich gleich da bin. Gib mir zehn Minuten …“
  Er schnaubte. „Du hast fünf. Das Eisen ist im Feuer und ich hab heute schließlich noch etwas anderes zu tun“, versetzte er, trat an den Tisch und schnappte sich Alfrins gerade erst gefüllte Kaffeetasse, um damit zu verschwinden.
  Die Tür war noch nicht richtig ins Schloss gefallen, als Helen schon mit schiefem Grinsen nickte. „Erhabener Monarch, klar! Wohl eher durchtriebener!“
  „Das fasse ich als Kompliment auf! Aber wie du siehst, bin ich wohl doch mehr als nur ein Tegoz … Ich werde tatsächlich mal in den Stall gehen müssen. Pandora lässt sich nicht gerne neu beschlagen und da ist ein zusätzliches Paar Hände gefordert. Ich würde dich jedoch gerne sprechen, Helen. Heute Abend?“
  „Komm zum Essen zu uns herüber, Alfrin“, meinte Nubrin sofort. „Jurim und Zibuk sind ebenfalls eingeladen, Tamara wollte für uns alle etwas kochen. Sie hat Serafina das Rezept für ihre Fleischpastetchen abgerungen im Tausch gegen Selas Rezept für die Gewürzschnitten.“
  „Dann rechnet fest mit meinem Kommen, denn die Pastetchen kenne ich! Bis heute Abend dann.“
  „Er nennt sein Pferd Pandora?“, versetzte Helen, als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte.
  „Weil sie als junge Stute – je nachdem, in welche Situation sie geriet – ein paar interessante Allüren hatte, die nicht alle angenehm waren, ja“, schmunzelte Nubrin. „Immer für eine Überraschung gut!“
  „Was ja wohl auf ganz Aroda zutrifft“, konterte Helen trocken.
  Ein insgesamt kurzes Intermezzo, aber es hatte ihr sichtlich geholfen, sich noch ein bisschen mehr mit dem Gedanken anzufreunden, dass Aroda Realität, dass eine Hälfte von mir fremd und doch so gar nicht fremd war und dass ein Teil meines Lebens von jetzt an hier stattfinden würde. Ich schaffte es daher auch den ganzen restlichen Samstag über, der wichtigsten Frage aus dem Weg zu gehen: Der, wann ich wieder zurückkommen würde.
  Erst am Abend und damit nur eine Nacht von unserer erneuten Trennung entfernt ließ sie sich nicht länger vertrösten oder abwimmeln, sie wischte ihren Mund mit der Serviette ab und wartete eine Gesprächspause ab, sodass sich niemand damit herausreden konnte, von anderen abgelenkt worden zu sein. Und wie ich geahnt hatte, trat nach ihrer Frage schlagartig absolute Ruhe ein.
  „Wann kommst du zurück, Hope?“
  Ich hörte auf zu kauen und schluckte.
  „Oder kommst du gleich morgen mit?“
  Nim neben mir legte vorsichtig sein Besteck fort und weitere leise Geräusche zeigten mir, dass auch alle anderen aufgehört hatten, zu essen.
  „Helen, ich …“, begann ich und legte ebenfalls meine Gabel auf den Teller, „Ich weiß es noch nicht. So wie es aussieht, werde ich noch eine Weile bleiben, es gibt noch eine Menge ungeklärter Dinge …“
  „Genau wie bei uns! Irgendwann werden auch andere nach dir fragen, vor allem die Schule. Fotopostkarten helfen nicht mehr lange.“
  „Ich weiß“, murmelte ich.
  „Okay, was ist hier los? Du kannst mich ja noch nicht mal ansehen, wenn du mir antwortest! Hast du vor, hierzubleiben? Wenn ja, solltest du mir das doch wohl sagen, oder?“
  Ich sah auf und blinzelte beklommen.
  „Helen, Hope hat recht, es gibt noch eine ganze Reihe von ungeklärten Dingen, die sie hier vorläufig festhalten. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben: Sie ist zurzeit die einzige Person hier, die nicht wechseln kann. Nicht, weil sie nicht will, sondern weil sie nicht kann. Die Passage weigert sich, sie mitzunehmen“, Alfrin hatte offenbar gesehen, wie schwer mir die Antwort fiel.
  „Was?“, hauchte Helen neben mir und starrte mich mit offenem Mund an. „Das verstehe ich nicht. Ich dachte, du bist so was wie ihre Pförtnerin! Wieso nimmt sie dich nicht mit? Sitzt du jetzt hier bis in alle Ewigkeit fest?“
  Ich schluckte erneut bei dieser Vorstellung – und wieder war es Alfrin, der mir die Antwort abnahm.
  „Das wissen wir nicht. Es wäre durchaus möglich, dass auch das nur ein vorübergehender Zustand ist – wie so oft in letzter Zeit. Wir versuchen es tagtäglich aufs Neue, aber bisher erfolglos. Bisher! Es könnte sich von einem Tag auf den anderen ändern.“
  Sie gab ein ungläubiges Geräusch von sich, dann beugte sie sich vor, um mir ins Gesicht sehen zu können.
  „Deshalb! Ich wusste genau, dass irgendetwas nicht ganz stimmt! Du konntest mir noch nie etwas vormachen, Hope, dafür kenne ich dich viel zu gut. Bist du hier eingesperrt?“
  Ich stöhnte, rieb mit beiden Händen über mein Gesicht und wandte mich ihr dann wieder zu. „Ich weiß es nicht! Ganz ehrlich, ich weiß es nicht! Kann sein, dass es so ist, wie Alfrin sagt. Kann aber auch sein, dass die Passage dieses par mit aller Macht halten will, indem sie mich ab sofort hierbehält.“
  „Aber wieso? Du hast doch auch danach noch die Seiten gewechselt!“
  „Ja und nein. Kurz. Einmal praktisch nur halb. Und seitdem nicht mehr. Helen, ich weiß nicht, ob ich nochmal zurückkommen werde, aber ich hoffe es! Ich wollte es, echt! Ich wollte mit dir zusammen die Schule beenden …“
  „Pfeif auf die Schule!“, stieß sie hervor. „Verdammt, wenn du hier festsitzt, ist die Schule so was von egal! Du sitzt hier fest? So richtig? Und noch kann niemand sagen, wie lange das anhält?“
  Ich nickte wortlos.
  Sie starrte mich mit vor Schreck geweiteten Augen an und fiel mir dann um den Hals. „So eine … merde! So eine Mega-merde!“
  „Du sagst es“, flüsterte ich.
  „Ja! Und auf Französisch klingt es sogar noch gepflegt! Hope, das … Ich … So eine ... Ich weiß zum ersten Mal im Leben nicht, was ich tun oder sagen soll! Du musst doch wieder … Sie kann dich doch nicht …“
  „Sie kann es offensichtlich doch“, widersprach ich und machte mich behutsam los, als ich die besorgten Blicke der anderen bemerkte. Wenn ich nicht noch vorsichtiger behandelt werden wollte, dann würde ich Herrin dieser Situation bleiben müssen, also holte ich tief Luft und versuchte es erneut: „Uns bleibt nichts anderes übrig, als daran zu arbeiten und Ursachenforschung zu betreiben. Wenn ich irgendwann wieder nach Fairfax will, dann bleibt mir nichts anderes übrig.“
  Ihre Hand lag noch immer auf meinem Arm und jetzt unterbrach sie mich misstrauisch: „Du willst doch wieder nach Hause, oder? Ich meine, ich hab kapiert, dass das hier auch dein Zuhause ist, irgendwie, aber du willst doch wieder rüberkommen!?“
  „Ja, das will ich“, schoss ich hervor. Offenbar eine Spur zu schnell, denn genauso schnell riss sie jetzt die Augen auf.
  „Aber?“
  Ich druckste herum.
  „Raus damit! Du hast mir noch nie etwas verschweigen können und ich will die ganze, ungeschönte Wahrheit, bitte schön!“
  Genau das, was ich mir so gerne noch eine Weile aufgespart hätte. Wenigstens so lange, bis ich selbst die Wahrheit kannte und auf dieser Basis eine Wahl treffen konnte. Aber diesen Blick kannte ich. Sie würde keine Ruhe geben, bis sie alles wusste, also …
  „Helen, wenn ich einen Weg für mich finden will, der nicht ständig zwischen zwei Welten hin und herspringen soll, dann muss ich wieder zurück. Ich muss nachdenken und … mit jemandem reden. Und erst wenn ich lange genug nachgedacht habe und lange genug geredet habe, werde ich mich … entscheiden können.“
  Sie japste nach Luft. „Mit anderen Worten: Aroda ist eine echte Alternative für dich? Entweder wirst du weiter in Fairfax leben und nur hin und wieder hier vorbeisehen … oder du wirst hier leben?“
  „Und nur hin und wieder einen Urlaub auf der Erde einschieben, ja. Und um genau diese Entscheidung treffen zu können …“
  „Ich verstehe“, versetzte sie bleich. „Das hätte ich niemals ahnen können! Na ja, wohl doch, nachdem ich gesehen und gehört habe, was ich gesehen und gehört habe, aber ich hätte es mir vermutlich nicht eingestanden, wenn du es jetzt nicht laut ausgesprochen hättest! Du würdest weggehen?“
  „Mit der Option, immer wieder einmal zurückzukommen! Mit der Option, dass du jederzeit kommen kannst, das wollte ich unbedingt!“, versicherte ich verzweifelt. „Peter ist schon jetzt entschlossen, dass sein Leben vorwiegend auf der Erde stattfinden soll und wann immer du mich sehen willst, musst du nur zu ihm gehen und … Gott, Helen, ich weiß! Ich weiß, dass das nicht dasselbe ist! Wir sehen uns nicht mehr täglich … Wir hätten noch ein halbes Jahr Schule miteinander gehabt und dann …“
  Sie gab ein eigenartiges Geräusch von sich und hob energisch die Hand.
  „Warte! Warte mal, hol mal tief Luft und warte einen Moment!“, konterte sie fest. Dann holte stattdessen sie tief Luft, atmete langsam und hörbar aus und sah mich mehrere Augenblicke lang forschend an. Dann nickte sie und seufzte. „Jetzt hörst du mir mal gut zu, okay? Das kommt mir alles wahnsinnig bekannt vor und gerade ist mir mit einiger Verspätung wieder eingefallen, woher ich dein derzeitiges Benehmen kenne. Du weißt sicher, wovon ich rede! Und ich würde sagen, dass du auch jetzt nicht aufgibst, oder?“
  „Das habe ich nicht vor“, bestätigte ich leise.
  „Das hätte ich auch nicht erwartet! Also fang jetzt nicht wieder damit an, dich in dich selbst zu verkriechen und das alleine in die Hand zu nehmen, ist das klar? Ich würde nur zu gerne wieder für dich da sein, aber das bin ich diesmal leider nicht, ich werde da auf der anderen Seite hocken und kann nur hoffen, dass die hier alle meine Aufgabe übernehmen“, deutete sie mit dem Kopf in die Runde. „Und wenn das, was ich da schon wieder auf deiner Stirn geschrieben sehe, nur meinetwegen da steht, dann sage ich dir, dass du sofort damit aufhören sollst!
  Es gibt nichts, was du vor mir rechtfertigen musst, und ich habe vollstes Verständnis dafür, dass du dein Leben hier würdest verbringen wollen. Echt: Wäre meine Mom von einem anderen Planeten gewesen, würde ich vermutlich genauso entscheiden. Also hör auf damit, dich bei mir zu entschuldigen. Es kommt doch nicht darauf an, dass wir nebeneinander in Mathe hocken und Wetten abschließen, wann der nächste Zahlentote vom Stuhl sinken wird. Ich bin auch durch die Passage durch deine beste Freundin, klar? Hast du auch nur einen Moment lang daran gezweifelt?“
  „Nein, aber …“
  „Hast du gedacht, das würde mich überfordern? So im Sinne von: Wenn sie das erst einmal weiß, dann werden ihre Besuche irgendwann immer seltener werden?“
  „Nein, natürlich nicht! Ich …“
  „Okay! Dann lass es jetzt auch sofort und für alle Zukunft, darüber nachzudenken! Denk nicht an mich oder an irgendwas sonst, das regeln wir schon. Und ich regle mit! Zweimal in zwölf Stunden, also alle sechs Stunden?“, wandte sie sich an Peter, der dem Ganzen mit sichtlicher Betroffenheit zugehört hatte.
  „Jepp, ziemlich genau offenbar.“
  „Fein! Dann könnte ich notfalls auch mal über Nacht und auf eine Pizza herkommen … A!“, stieß sie kurz und abgehackt aus und hob wieder die Hand, als ich etwas einwerfen wollte. „Keine Widerrede! Ich bin längst aus dem Alter raus, in dem Dad … Okay, nicht hier und jetzt! Ich werde da drüben also tun, was ich kann, um dir den Rücken so lange es eben geht freizuhalten, ich krieg das schon hin. A! Ich bin noch nicht fertig! Wenn du nichts dagegen hast, dann komme ich nächstes Wochenende wieder her – falls du bis dahin nicht schon wieder wechseln kannst.“
  „Natürlich“, antwortete Nim an meiner Stelle sanft und fasste nach meinen Fingern.
  Helen sah das, seufzte leise und nickte dann entschlossen.
  „Hope, egal, wie das ausgeht, du wirst mich nicht los! Ich bin nicht so leicht aus dem Rennen zu kicken und es gehört schon ein bisschen mehr dazu, um diese Freundschaft auseinanderzureißen!
  So viel dazu, kommen wir zu euch Jungs: Da ich jetzt weiß, weshalb ihr euch ihr gegenüber so komisch benehmt, sage ich euch mal etwas: Wenn ich nächstes Wochenende wieder herkomme und sehe, dass ihr immer noch eure plüschigen Samtpantöffelchen tragt, in denen ihr um sie herumschleicht, und wenn ihr sie weiterhin die ganze Zeit über wie ein rohes Ei behandelt habt, dann ziehe ich euch höchstpersönlich … das da über die Schädel, was immer es ist!“, deutete sie auf einen Köcher, den Jurim beim Eintreten an den Schrank gelehnt hatte, bevor er Platz genommen hatte.
  „Ich wäre dir dann doch dankbar, wenn du dir etwas anderes aussuchst!“, meinte er daher jetzt trocken. „Das da sind ein paar handgefertigte Pfeile, die ich eigentlich dem Tegoz schenken wollte, bisher nur noch nicht dazu gekommen bin.“
  „Du wolltest mir Pfeile schenken?“, meinte Alfrin erstaunt.
  „Nein, die wollte ich dir als Dankeschön in den Hintern jagen, weil du mich schon wieder von einer Jagd abgehalten hast! Aber das kann ich hier schließlich nicht laut sagen, also … sind sie ein Geschenk. Danken kannst du mir später.“
  „Oh! Äh … Dann danke ich dir, sobald ich sie aus deiner Reichweite entfernt habe, wenn du nichts dagegen hast. … Du hast es gehört, Helen, such dir etwas anderes, um ihnen Vernunft beizubringen!“
  „Auch egal, ich finde schon was, aber du warst inbegriffen, gerissener Tegoz und Pandora-Bezähmer! Denkt ihr echt, ich hab nicht mitbekommen, dass ihr in ihrer Nähe auf Zehenspitzen herumlauft? Glaubt ihr echt, das hilft ihr? Ich sag euch was: Ihr alle hier kennt Hope nicht mal halb so gut wie ich und wenn ihr ihr helfen wollt, dann tut das, aber nicht, indem ihr wie schon den ganzen Tag einen Bogen um sie macht oder sie nur im Flüsterton ansprecht! Sie ist kein kleines Kind, sie braucht lediglich Unterstützung, Leute, die einfach da sind und sie normal behandeln! Und wenn ihr alle hier“, sah sie sie der Reihe nach aus schmalen Augen an, „tatsächlich von diesem eigenartigen Aroda-Völkchen abstammt und auf irgendeine Art und Weise magisch-mystisch-esoterisch veranlagt seid, dann fangt endlich was damit an! Keine Ahnung, was, aber schließlich seid ihr diejenigen, die das wissen sollten!“
  „Helen, das sind keine Zauberer, die den Zauberstab schwingen“, verzog ich das Gesicht.
  „Echt nicht? Schade! Aber ich muss mich doch fragen, weshalb bisher niemand auf die Idee gekommen ist, dieses angeblich so toll funktionierende Kollektiv nicht mal kollektiv zu nutzen, um dir Nutzen zu bringen! Ihr seid dran, lasst euch gefälligst mal was einfallen! Wenn dieser Valan – mit dem es ja wohl mehr oder weniger angefangen hat – doch gesagt hat, dass es Leute gibt, in denen wieder etwas mehr von dieser ursprünglichen Magie liegt, dann … übt verdammt noch mal das Reiten! Selbst wenn hin und wieder ein Hufeisen verloren geht, es muss ja wohl mehr dran sein an dieser genetischen Vermischung!
  ...
  So, das war’s, was ich sagen wollte! Oh, Augenblick, da ist doch noch was: Eure Herrlichkeit, hochwohllöblicher Tegoz von Felden, du willst, dass ich einen Eid ablege, bevor ich morgen wieder gehe? Wie wäre es jetzt, damit genügend Zeugen da sind?“
  „Ähm … Na ja, das war eigentlich für morgen … Meinetwegen! Wenn alle einverstanden sind …“, erhob er sich langsam und von dem mir nur allzu bekannten Helen-Effekt ein wenig überfahren.
  „Gut. Was muss ich machen? Hände hoch und auf die Bibel schwören oder so?“
  „Nein, wohl aber deine Rechte auf das Amulett legen, Helen“, erwiderte er ernst. „Und ich muss dir noch einmal eingehend klarmachen, dass jeder Verrat deinen Ausschluss aus Aroda mit sich bringen würde! Indem du auf das Amulett schwörst, wird die Passage wissen, wen sie da befördert und an welche Bedingung dies geknüpft wurde – sie würde sich für dich nie wieder öffnen und dir all deine Erinnerungen an Aroda nehmen; eine äußerst unangenehme und kaum erklärliche Gedächtnislücke würde bleiben.“

...

 

Ende der Leseprobe

 

Band 5, der Abschluss der Aroda-Reihe, führt noch weiter zurück, diesmal bis in eine altertümliche Zeit. Marahn, Inanas Großvater, hat den Weg nach Aroda geöffnet und den Magiebegabten aller Völker der Erde so die Möglichkeit geschaffen, zu überleben und ihr kostbares Wissen und Können zu bewahren. Was er nicht vermochte, ist, den Hass auf die Menschen und die Rachegefühle auszusperren. Ausgerechnet seine Enkelin Inana muss dies schmerzhaft lernen. Arodas Grundsteine bröckeln, kaum dass sie gelegt sind?!

 

Im Buchregal (siehe oben) ist mehr dazu zu finden. Ein spannender Ausflug in eine magische, erneut historische Welt erwartet euch!

ISBN 978-3-7543-4981-6

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